06.08.2021

Rhystadt-Blog

Wenn es um Kultur geht, ist das Klybeck ein reiches Quartier


Natürlich haben die vielen Menschen, die aus anderen Ländern ins Klybeck gezogen sind, ihre Kultur mitgebracht, ihre Musik, ihre Tänze, ihre Volksfeste. Im Quartier sind über die Jahre aber auch kontinuierlich einheimische Alternativkultur-Projekte gekeimt, gewachsen, aufgeblüht. Und oft genug ist der Untergrund von gestern ja ein etablierter Zweig der Kultur-Industrie von heute – oder morgen.

©Rhystadt/Christian Platz, Bild: Nils Fisch

Seit das Klybeck im Verlauf des 19. Jahrhunderts von der Industrie zu einem Wohnquartier für Arbeiterfamilien entwickelt wurde, war hier nie der Reichtum zuhause. Heute ist es das Quartier mit dem durchschnittlich dritt-günstigsten Wohnungen in Basel, gefolgt von Kleinhüningen und Hirzbrunnen. Natürlich stand das Arbeiterquartier mit seiner gemischten Bevölkerung und seinen kulturellen Einflüssen aus dem Ausland bei der Basler Oberschicht früher unter Generalverdacht: «Das tiefste Kleinbasel, dieses Sündenbabel auf der anderen Seite des Rheins», pflegte man einst zu sagen. Da kursierten Klischeebilder von einer rauen Beizenszene, in der Schlägereien, lockere Sitten, raue Manieren an der Tagesordnung seien. Bis weit in die 1970er Jahre hinein prägten diese holzschnittartigen Motive die Wahrnehmung – und wohl auch die Fantasien – der «besseren Kreise» im Grossbasel. In den USA gibt es ja das geflügelte Wort von jenen verruchten Orten, die auf der falschen Seite der Eisenbahnschienen liegen würden – «on the wrong side of the railroad tracks». Oft sind dies aber gleichzeitig genau die Orte, an denen sich Kulturen produktiv vermischen, an denen neuen kulturelle Formen und Stile erprobt werden, an denen menschliche Begegnungen über kulturelle Grenzen hinweg neue, produktive Lebensformen und -realitäten schaffen. Im Basler Massstab ist das Klybeck so ein Ort.

Lumpenlieder, Mandolinen-Klänge, Rock, HipHop

Natürlich wurde in den Beizen des minderen Basels einst gesungen, Volkslieder, Schmachtfetzen, Lumpenlieder – und an guten Abenden hat dazu noch jemand Handorgel oder Klavier gespielt. Im Klybeck mischten sich jedoch schon bald italienische Mandolinenklänge und spanische Gitarrenweisen ins Quartierkonzert, später stimmten Oud, Gusle und Bağlama (auch Saz genannt) ein, die Saiteninstrumente der Türkei, des Nahen Ostens, des Balkans. Heute gibt es hier Vertreter*innen mannigfaltiger Folklore-Stile aus allen Himmelsrichtungen, Musik, Tanz, bildende Kunst leben in diesem Quartier genauso wie Popmusik, Rock und HipHop. Im Klybeck findet man sie tatsächlich, jene vielbeschworene «Welt in Basel», ungekünstelt, unprätentiös, ungefiltert, auf Augenhöhe, auf Strassenniveau, im Alltagsleben. Und natürlich auf den Esstischen, aber das wäre wieder eine andere Geschichte.

Wohnen, leben, tanzen

In den späten 1960er, frühen 1970er Jahren begann sich die Alternativkultur im Klybeck zu manifestieren, die günstigen Wohnungen lockten Hippie- und Freak-Wohngemeinschaften an, darunter viele Kulturschaffende, Ateliers und Proberäume folgten. Mitte der 1980er Jahren zogen an der unteren Klybeckstrasse und am Altrheinweg junge Menschen ein, viele von ihnen kannten sich aus dem (von der Stadt per Polizeieinsatz beendeten) Kulturprojekt «Alte Stadtgärtnerei», in zwölf Liegenschaften ein, die einst für Arbeiterfamilien der «Chemischen» gebaut wurden. In diesen Gebäuden, die damals als Abbruchobjekte betrachtet wurden, entwickelte sich ein dauerhaftes Wohnprojekt, zu dem auch das «Neue Kino» gehört, eine Genossenschaft, die das Haus inzwischen besitzt. Das vorzügliche Restaurant Platanenhof gehört ebenfalls zu den inzwischen etablierten alternativen Betrieben im Quartier, in der Tiki-Bar hinter der Beiz haben viele grandiose Konzerte stattgefunden. Die neueren Kulturorte im Klybeck wie das Konzertlokal Humbug, die ganzen Aktivitäten an der Uferstrasse, Holzpark, Klybeckquai, Uferbox plus, das Patschifig und all die weiteren Zwischennutzungen sind zu Magneten für ein begeistertes Publikum, alt und jung, geworden. Im Klybeck kann ihr Coiffeur ein Star-Rapper sein, im Klybeck wird zur heissesten Musik getanzt, im Klybeck trifft Prog-Rock auf Trash-Metal. Dieses Quartier ist im 21. Jahrhundert zu einem der wichtigsten kulturellen Zentren Basels avanciert, einem Hub, wie man heute gerne sagt.

Legende:
Bild 1: S-Hot, Quelle: Nils Fisch
Bild 2: Leuchtturmschiff, Quelle: A. Schwald
Bild 3: Holzpark, Quelle: A. Schwald
Bild 4: Graffiti, Quelle: A. Schwald